Montag, 22. April 2019

Die ersten Tage in der Ukraine

Der letzte Tag in Moldawien stand ganz im Zeichen des bevorstehenden Grenzüberganges zur Ukraine. Da wir im Internet gelesen hatten, dass er nur für Autos, aber dezitiert nicht für Fußgänger und Radfahrer geöffnet ist, waren wir sehr nervös. Den ganzen Tag über schlugen wir uns mit Gedanken herum wie wir das Problem lösen könnten. Wir haben uns dann darauf verständigt, dass wir uns dumm stellen und lachend auf die Grenzbeamten zufahren, wenn wir abgewiesen werden uns einen netten LKW Fahrer suchen und mit ihm über die Grenze trampen.
Ungefähr gegen 19:00 Uhr am Abend kamen wir zum Grenzdorf "Cosauti". Wie es so oft im Leben ist, kam alles ganz anders als gedacht. Der Grenzübergang war ein kleiner Posten mit nur 4 Beamten. Die Straßen zum Posten waren so klein, dass keine LKW's durchgepasst hätten. Ein einziges Auto stand vor dem verschlossenen Schranken. Daneben war, wir trauten unseren Augen kaum, eine eigene Spur für Fußgänger. Wir schoben die Räder zu dem etwas grimmig dreinblickenden Grenzbeamten und durften sofort den ersten Zaun passieren. Nachdem ein weiterer Beamter 10 Minuten lang mit unseren Pässen im Grenzhäuschen verschwand, hatten wir die erste Hürde überstanden. Wir waren aus Moldawien ausgereist. Wir schoben die Räder zum Ufer des Grenzflusses "Tyra", setzten uns auf einen Stein und warteten mit anderen Fußgängern darauf, dass wir die kleine Fähre, die uns auf die ukrainische Seite bringen sollte, betreten durften. Nachdem wir um die 10 Fußgänger und ein Auto waren, meinte der Fährmann, es sei Zeit abzulegen.
Zu dieser Zeit hatte sich bei mir die Nervosität schon gelegt, Elias war noch etwas aufgeregt. Die 10 minütige Überfahrt war wundervoll, sie war sogar noch besser und schöner als ich es mir daheim in Österreich beim Planen der Route vorstellen konnte. Mit den letzten warmen Sonnenstrahlen im Gesicht, schipperten wir zur ukrainischen Seite des Flusses. Ich saß auf einer Bank am Rand der Fähre und sah wie der moldawische Posten immer kleiner und auf der anderen Seite die ukrainische Flagge immer größer wurde. Das war Reiseromantik in voller Intensität! Mir kamen fast die Tränen. Das war bestimmt der schönste Grenzübergang auf unserer Reise, irgendwann muss ich wiederkommen, nur um nochmals die Fähre benützen zu können.


die Grenzfähre

Nachdem ich 10 Minuten lang friedlich in Gedanken versunken da saß, holte mich der ukrainische Grenzbeamte wieder in die Realität zurück, er empfing uns mit bösem Blick und einem Sturmgewehr.
Als wir die Pässe herzeigten durften wir den ersten Schranken passieren und kamen in den zweiten Kontrollbereich. Nach einer erneuten Überprüfung der Pässe kam ein Vorgesetzter der mitbekam, dass wir aus Österreich waren. Er konnte ein paar Wörter Deutsch. Sein Erscheinen wirkte Wunder, auf einmal wich die Härte in den Gesichtern der anderen Soldaten, sie wurden richtig freundlich und lachten sogar. Wir führten "small-talk" über Fussball, ein Gesprächsthema, das in jeder Situation anwendbar ist und jedes noch so dicke Eis bricht. Im Gegensatz zur moldawischen Einreise wurde nicht einmal unser Gepäck durchsucht, wir glauben, dass lag daran, dass der Höchstanwesende persönlich sich unser annahm und er ziemlich begeistert von unserer verrückten Idee war. Es ist eigentlich pervers, aber der österreichische Pass ist extrem hilfreich, man wird teilweise bevorzugt behandelt, anscheinend sind Österreicher sehr gerne gesehen. Bis jetzt zumindest! Die richtig harten Grenzen kommen schließlich noch.
Die Moldawen wurden nämlich sehr wohl kontrolliert und mussten das Gepäck aufmachen. Bei der dritten Station mussten wir nochmals die Pässe herzeigen und wieder 10 Minuten warten. Die Soldatin die unsere Pässe einscannte war auch sehr gut aufgelegt, sie scherzte mit mir über mein, mittlerweile schon acht Jahre altes Passfoto. Den letzten Schranken durften wir ohne erneutes herzeigen der Pässe passieren! Ich verstehe nicht warum man vier Mal den Pass herzeigen muss...Aber ist ja auch egal! Wir waren in der Ukraine und das war das Einzige was zählte!


letzter Blick nach Moldawien

Mit der Zeit fing es an zu dämmern, unser Plan war es Wasser zu finden und uns dann einen Zeltplatz zu suchen. Wir fuhren einfach drauf los, in die gefühlt richtige Richtung, da wir der kyrillischen Schrift nicht mächtig waren. (wie sich später herausstellen sollte war es tatsächlich die richtige Richtung) 
Nach 15 Kilometer verließen wir die Hauptstraße und fuhren über eine kleine Schotterstraße in das kleine Dorf "Kachkovka". An einem Haus fragten wir einen älteren Herren, ob wir unsere Flaschen auffüllen dürfen. Wir bekamen frisches Brunnenwasser und wollten schon weiterfahren, als drei seiner Nachbarn dazu kamen. Sie wollten wissen was uns in ihr Dorf verschlagen hatte. Mit Händen und Füßen erklärten wir ihnen unser Vorhaben. Die vier Herren wollten uns anfangs gar nicht glauben, als wir ihnen dann eine Karte mit der geplanten Route zeigten waren sie sehr erstaunt und begeistert. Sie lachten und gaben uns zu verstehen, dass wir wohl ein bisschen verrückt seien! Circa eine Stunde hat dann unsere sehr gestenreiche Unterhaltung gedauert, mittlerweile war es schon stockdunkel! Sie haben uns dann noch zu verstehen gegeben, dass es im Dorf ein Café gibt, bei dem wir eventuell mit Euro bezahlen können (wir hatten wieder mal keine landesübliche Währung dabei). Begleitet durch Hundegebell fuhren wir durch das dunkle Dorf in Richtung Café. Dort angekommen blieb Elias draußen bei den Rädern und ich wollte die Lage klären. Ich wurde schon vor dem Eingang von einigen betrunkenen Ukrainern begrüßt, bevor ich bei der Bar ankam und die Kellnerin fragen konnte, ob sie Euro akzeptiert, hatte ich schon einen Wodka in der Hand und eine Einladung zum übernachten. Ich erklärte den Anwesenden unsere Reise und warum wir hier gelandet waren. Wir müssen die ersten Touristen gewesen sein, die sich in das Dorf verirrt hatten, auf jeden Fall waren wir die Attraktion schlechthin. Während ich schon beim zweiten Wodka war, wurde Elias hereingeholt, auch er musste nicht lange auf ein Stamperl warten. Wir mussten unzählige Fotos machen und ständig neue Hände schütteln. 
Mit der Zeit wurde die Situation etwas unübersichtlich, wir fühlten uns beide etwas unwohl. Ständig wurde nachgeschenkt und keiner machte Anstalten zu gehen. Nach einigen Gläsern Wodka beschlossen wir nichts mehr zu trinken, damit wir die Kontrolle über die Situation nicht verlieren. Mein Unbehagen wurde dadurch verstärkt als einige von den Gästen meinen Pass betrachten und dann sogar Fotos mit mir und meinem Pass machen wollten. Sie selber zeigten mir auch voller Stolz ihre ukrainischen Personalausweise. Ich verstehe nicht, was so toll an meinem Pass ist, aber sie waren richtig glücklich als ich nachgab und ihnen erlaubte von der Vorderseite ein Foto zu machen.
In der Zwischenzeit wurde Elias von zwei sternhagelvollen älteren Typen angequatscht und zum Saufen animiert. Er erzählte mir später, dass er sich sehr unwohl gefühlt hat und sich nicht sicher war, ob wir nicht komplett über den Tisch gezogen werden. Elias kam zu mir an die Bar und gab mir zu verstehen, dass wir jetzt abhauen sollten. Noch vor fünf Minuten hätte ich dem Vorschlag sofort zugestimmt, doch in der Zwischenzeit kam eine Frau in das Café, die gebrochen englisch sprach und mir sagte, wir können bei ihr übernachten. Der Umstand, dass sie sehr nett und vertrauenswürdig aussah und noch dazu nüchtern war, gab mir Hoffnung, dass es vielleicht doch alle nur gut meinten. Ich überredete Elias noch ein paar Minuten zu warten und zu beobachten wie sich die Lage entwickelt. Im Nachhinein war das das Beste was wir hätten machen können.
Wir gingen mit ihr vor das Café, wo schon ein weißer Lieferwagen stand. Der Fahrer half uns die Räder zu verstauen. Elias stieg vorne ein, ich musste im Laderaum Platz nehmen um die Räder zu halten. Ich kam mir vor wie in einem schlechten Film, ich war mir immer noch nicht zu 100% sicher, ob das jetzt die letzte Etappe zu einem sicheren Schlafplatz war, oder vielleicht doch eine Entführung. Ich nahm mein Handy und filmte die Situation im stockdunklen Laderaum. Ich dachte mir, wenn wir wirklich entführt werden sollten kommt die Aufnahme sicher gut im geplanten Film an.

 

Meine Befürchtungen haben sich aber in keinster Weise bestätigt. Als der Lieferwagen stehen blieb und ich ausstieg waren wir bei einem sehr schönen Haus. Wir stellten die Räder in die Garage und wurden von Valentina, der nüchternen Frau aus dem Café, in das Anwesen begleitet. Wir bekamen Essen aufgetischt, heißhungrig wie wir waren stürzen wir uns sofort darauf. Nach dem Essen durften wir unsere Sachen waschen und uns duschen. 
Im Nachhinein tut es mir richtig leid, dass ich im ersten Moment so viele Vorurteile hatte. Valentina und ihre Familie haben uns aufgenommen wie Familienmitglieder!
Eigentlich war es geplant, dass wir am nächsten Tag wieder auf den Rädern sitzen, aber wir bekamen eine Führung durch das Dorf. Wir besichtigten das alte Stadion und gingen zum befreundeten Dorfarzt um unseren Blutdruck zu messen :). 
Als es schon nach Mittag wurde, haben wir beschlossen noch eine weitere Nacht zu bleiben. Am nächsten Tag, so war zumindest unser Plan, wollten wir aber wirklich aufbrechen. Wir haben die Rechnung aber ohne Valentina gemacht, sie dachte gar nicht daran uns schon ziehen zu lassen. Sie verwickelte uns in ein, mehrere Stunden andauerndes, "Google translate Gespräch" bis wir selber einsahen, dass es sich nicht mehr auszahlt uns heute noch auf die Räder zu schwingen. Also gaben wir nach und verschoben die Abreise ein weiteres Mal.



das ominöse Café bei Tageslicht

Sergey, der Cousin von Valentina

spontane Essens und Schnaps Einladung

Blutdruck messen beim Dorfarzt

Damit wir den restlichen Tag nicht sinnlos rumsitzen und wir uns, zumindest ein klein wenig, für die unglaubliche Gastfreundschaft revanchieren wollten beschlossen wir unsere Hilfe anzubieten. 
Hinter dem Haus war ein kleines Feld, auf dem wir im Laufe des Nachmittags mit anderen Arbeitern Zwiebeln und Kartoffeln ansetzen. Während wir arbeiteten wurde schon ein weiteres Festessen vorbereitet, für das eigens ein Huhn geschlachtet wurde. Zusammen mit der ganzen Familie und den anderen Arbeitern saßen wir an einem großen Tisch und aßen ukrainische Spezialitäten und tranken hausgemachten Wodka. Es war wirklich ein tolles Gefühl, inmitten der großen Runde zu sitzen, ukrainisches Essen in sich rein schaufeln zu können und via "Google translate" und mit den Händen und Füßen zu kommunizieren.





Am nächsten Morgen waren wir beide ein bisschen traurig, da die Abreise kurz bevor stand. Valentina versuchte uns ein weiteres Mal zum Bleiben zu überreden, aber diesmal schafften wir es hart zu bleiben. Sie bestand aber darauf uns noch ein paar Kilometer mit dem Auto zu fahren. Gegen 15:00 verabschiedeten wir uns von unseren Gastgebern und stiegen wieder in den Lieferwagen (diesmal im Hellen und vorne). Kurz vor der Abreise haben wir noch ein riesiges Essenspaket mit Brot, Speck, Fleisch, Gurken, Käse, Äpfel, Kekse und Wodka erhalten! 

Wir fühlten uns beide von Anfang an extrem wohl, wären wir nicht auf einer Radreise nach Tokyo und würde uns das russische Visum nicht unter Zeitdruck setzten wären wir wahrscheinlich länger geblieben. Valentina und ihr Mann Anatolye hätten uns wahrscheinlich noch mehrere Wochen bei sich wohnen lassen. Es freut mich sehr, so unglaublich herzliche Menschen kennengelernt zu haben. 


unsere wunderbaren Gastgeber

Vielen vielen Dank für die Gastfreundschaft! Besser hätten wir uns die ersten Tage in der Ukraine nicht vorstellen können!

Бувай
Fabio

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3 Kommentare:

  1. Mah so toll, ich lese eure Berichte so gerne und bin immer schön auf den nächsten gespannt. Wünsch euch noch weiterhin tolle Erlebnisse, Gesundheit und viel Glück bei eurem Vorhaben.

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  2. Mah so toll, ich lese eure Berichte so gerne und bin immer schön auf den nächsten gespannt. Wünsch euch noch weiterhin tolle Erlebnisse, Gesundheit und viel Glück bei eurem Vorhaben.

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