Mittwoch, 1. Mai 2019

"Zwangspause" in Charkiv

Nikolay, unser "Kontaktmann" aus Charkiw ließ auch nicht lange auf sich warten. Er begrüßte uns mit einem breitem Grinser im Gesicht und mit dem Handy in der Hand. Er kann, leider wie so viele seiner Landsmänner, kein Englisch. Deswegen musste wieder mal "google translate" als Kommunikationshilfe herhalten. Er brachte uns zu einem sehr neuen und feinen Hostel und bezahlte uns die erste Nacht. Unglaublich! Damit hatten wir nicht gerechnet! Er wartete in der Lobby auf uns, während wir seit 14 Tagen das erste Mal in den Genuss einer Dusche kamen, es war herrlich! Ich fühlte mich schon so dreckig und ekelhaft, ich konnte mich schon selber riechen. Ich glaube, wenn man selber bemerkt, dass man stinkt ist es wahrscheinlich schon ziemlich schlimm. Frisch geduscht wurden wir von Nikolay, seinem Halbbruder, seinem Bruder und dessen Freundin empfangen. Zu sechst fuhren wir mit einem fünf Mann Auto in die Innenstadt um etwas zu essen. Nikolay's Bruder war Polizist und konnte sehr gut Englisch, was die Kommunikation natürlich erheblich vereinfachte. Nach dem Essen halfen sie uns bei den Sachen die wir noch zu erledigen hatten. Sie zeigten uns ein Radgeschäft, bei dem wir in den nächsten Tagen einen neuen Reifen kaufen sollten und fuhren mit uns zum Baumarkt, wo wir uns eine Unterlage für unser Zelt besorgten. Im Gegensatz zu den österreichischen Baumärkten war Personal anwesend und wir wurden gut beraten. Nachdem alles erledigt war, fuhren wir gemeinsam in den "Gorki Park", ein sehr bekannter Park in Charkiw in dem es Sportplätze, einen Vergnügungspark und des öfteren Konzerte gibt.


wir mit Nikolay's Familie 

die Hauptallee im Gorki Park 

Nach circa einer Stunde verließ uns Nikolay's Bruder und dessen Freundin und wir gingen mit Nikolay und seinem Halbbruder zu Fuß weiter. Wir spazierten noch bis in die Abendstunden in der Stadt herum, ehe wir uns in ein Lokal setzten. In dieser Bar war es üblich, dass man zum Bier einen getrockneten Fisch dazu bekam. Da ich generell ein großer Fan von allen Fischen bin, war ich sehr begeistert von dieser Tradition. Nikolay erklärte uns, dass das keine Seltenheit ist und viele Ukrainer getrockneten Fisch zum Bier essen. 


frisch geduscht in der Bar 

zu jedem Bier ein Fisch 

Als es schon nach Mitternacht war, fuhren wir mit der U-Bahn zurück zu unserem Hostel.
Als ich von einer weiteren Dusche zurückkam, sah ich Elias wie er von mehreren Leuten umringt war, denen er die Geschichte unserer Reise erzählte. Anhand der Weltkarte die im Aufenthaltsraum des Hostel hing, zeigte er ihnen die Route. Das tolle am Hostel war, dass (bis auf die Angestellten) jeder Englisch sprach. Ich glaube ich kann sagen, dass wir in den fünf Tagen die wir dort verbracht haben, mehrere neue Freunde kennengelernt haben. Das spannendste aber an solchen Unterkünften sind die Menschen die man trifft. Da war zum Beispiel Mohammed, ein 35 jähriger Programmierer aus Somalia, der von dort aus arbeitet wo es ihm gerade am besten gefällt, oder der 23 jährige Dennis aus der Nähe von Kiev, der ohne viel Geld nach Charkiv zog um hier sein Glück zu versuchen. Mit Abstand der "verrückteste" war aber Manuel, ein 30 jähriger gelernter Landwirt aus der Schweiz, der in seiner Heimat ein paar Sätze russisch gelernt und sich ein Zugticket nach Charkiv gekauft hat, um irgendwo in der Ukraine einen Bauernhof aufzumachen. Zwei Tage bevor wir Charkiw verlassen haben ist er zurück nach Lwiw gefahren, weil er dort ein Praktikum auf einem Hof gefunden hat und er sich bezüglich einer längeren Aufenthaltsgenehmigung erkundigen möchte. Mir taugt es immer, wenn ich Leute treffe, die einen etwas anderen Weg in ihrem Leben wählen. Die Geschichten und Erlebnisse von solchen Menschen inspirieren und motivieren mich sehr.
Ein Umstand der mir seit Anbeginn unserer Reise immer wieder auffällt ist der, dass viele Leute der Meinung sind Österreich sei das perfekte Land schlechthin. Als ich Nikolays Bruder fragte warum es verboten sei im "Gorki Park" am Boden zu sitzen, antwortete er mir, dass die Ukrainer, im Gegensatz zu den Österreichern, ihren Müll nicht mitnehmen, wenn sie wieder gehen. Ich muss echt schmunzeln bei dem Gedanken, dass er einmal an einem warmen Sommerabend in den Grazer Stadtpark geht und bemerkt, dass die Österreicher doch nicht soo reinlich sind wie er glaubt.
Ein weiteres lustiges Beispiel war Dennis. Als wir Kaffee trinken waren, fragte er mich, ob ich weiß warum die Stühle im Gastgarten zusammengekettet sind. Ich erwiderte: "damit sie nicht gestohlen werden, gleich wie in meiner Heimatstadt". Dennis wollte mir nicht glauben, dass auch österreichische Cafés über die Nacht ihre Stühle gegen Diebstahl sichern, er dachte das sei typisch ukrainisch. Er war tatsächlich der Meinung, dass in Österreich niemand klaut. Das waren jetzt nur zwei Beispiele, uns sind aber während der Reise schon oft ähnliche "Vorurteile" untergekommen. Ich weiß nicht warum und woher die Leute so ein realitätsfernes Bild von Österreich haben, aber es ist auf jeden Fall witzig, wenn man ihnen erklärt, dass es doch nicht so ist.
Die nächsten Tage in Charkiw hatten wir viel organisatorisches zu erledigen. Wir sicherten unsere ganzen, bisher auf den Kameras gespeicherten, Video und Fotodaten, beantworteten Emails und schrieben Blogeinträge. Da ich einen Socken verlor und ein weiterer mittlerweile zuviele Löcher hatte, kaufte ich mir zwei neue Paare. Wir fuhren zum Fahrradladen und rüsteten unsere Reifen auf ein stärkeres Modell um. Es war nicht unbedingt nötig, aber wir wollten auf Nummer sicher gehen und uns zukünftigen Ärger mit häufigem Schlauch picken ersparen.


die Fahrradladen Crew 

die neuen Reifen sind da! 

Auch unser technisches Equipment stockten wir ein wenig auf, ein Stick für unsere Action Kamera und zwei Kopfhörer vervollständigen jetzt unsere Ausrüstung. Die fünf tägige Zwangspause bis zu unserem russischen Visum kam uns also gar nicht so ungelegen. Als Außenstehender glaubt man gar nicht an was man alles, zusätzlich zum Radeln, denken muss.
Den letzten Abend verbrachten wir wieder mit Nikolay. Zusammen mit seinem Freund Roma zeigte er uns einen, uns noch unbekannten, Stadtteil. Wir gingen am Fluss..entlang und tranken Bier. Ein sehr schöner und toller letzter Tag. Obwohl ich mich in Charkiw sehr wohl fühle, freue ich mich jetzt schon auf die Weiterfahrt und auf mein Bike! Mein Rad, die Straße und meinen Schlafsack vermisse ich nämlich schon! 

Бувай
Fabio


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2 Kommentare:

  1. Ich freue mich, dass es euch gut geht und das ihr noch immer Freude daran habt, an dem was ihr tut...

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  2. Freu mich schon auf den nächsten Blog.
    Alles Gute für die Reise.
    zacki66@hotmail.com

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